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DFG-Projekt:
Kulturen der Heimcomputermusik

Technik, Netzwerke und Produkte in den 1980er Jahren zwischen Kaltem Krieg und Globalisierung

DFG-Projekt:Kulturen der Heimcomputermusik Technik, Netzwerke und Produkte in den 1980er Jahren zwischen Kaltem Krieg und Globalisierung

 

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt „Kulturen der Heimcomputermusik: Technik, Netzwerke und Produkte in den 1980er Jahren zwischen Kaltem Krieg und Globalisierung“ mit 616.089 Euro. Das Projekt ist am Institut für Musikwissenschaft und der Fachrichtung Komposition/Tonsatz angesiedelt und nimmt am 01.10.2022 seine Arbeit auf.

 

Projektleitung: Prof. Dr. Christoph Hust, Prof. Ipke Starke

Kooperationspartner: Prof. Dr. Martin Roth (Ritsumeikan-Universität Kyoto)

Mitarbeiter:innen: Niayesh Ebrahimisohi M. A., Hanna Hammerich M. A., Malte Schulze B. A.

Beratung: Prof. Dr. Manuel Burghardt (Universität Leipzig), René Meyer

Wissenschaftliche Hilfskräfte: Lindsey King B. A., Honoka Oka B. A.

 

„The computer moves in“, hatte das Time Magazine am 03.01.1983 mit dem Foto einer Installation von George Segal getitelt. Auch in der Musik eroberte der Heimcomputer die Wohn-, Arbeits- und Kinderzimmer. Hatte Max Mathews 1963 auf der Decca-LP Music from Mathematics eine Umsetzung von Henry Dacres Daisy („Bicycle Built for Two“) noch auf einem IBM-Großrechner realisiert, so wurde der Song 1975 bei einem Treffen des Homebrew Computer Clubs von Steven Dompier auf einem technisch zweckentfremdeten Altair 8800 abgespielt – „no less than a major rewriting of computer history“, bilanzierte Steven Levy.[1] – Das DFG-Projekt soll die Geschichte von Hardware, Software und Nutzer:innen der Heimcomputermusik in den 1980er Jahren und ihre Einbettung in das 1979 von Jean-François Lyotard beschriebene „postmoderne Wissen“ erforschen.[2] Es setzt auf Bruno Latours Verständnis eines Akteurs auf, der „von vielen anderen zum Handeln gebracht wird“ und somit das „Ziel eines riesigen Aufgebots von Entitäten“ sei, „die zu ihm hin strömen“.[3] In diesem Sinne können unbelebte Dinge wie Chips, Programme und Dateiformate als Akteure verstanden werden. Zum einen spiegeln sie die Gesellschaft und Kultur ihrer Zeit, zum anderen initiieren sie kulturelle Prozesse.

 

Beispielsweise reflektiert die Entwicklung der Soundchips in Commodore-Heimcomputern musikalische Praxen ihrer Zeit: Im Zeitalter des Synthesizers erhielt der C64 (1982) mit „SID“ einen digitalen Synthesizer mit analogen Komponenten, während „PAULA“ im Amiga (1985) bereits auf der Sampling-Technologie aufsetzte, wogegen wiederum der Atari ST (ebenfalls 1985) mit serienmäßig verbauter MIDI-Schnittstelle in professionellen Tonstudios (und bis vor wenigen Jahren auch noch in der Lehre an der HMT) eingesetzt wurde.

 

 

Software und Computercode sind ebenfalls kulturell geprägt. Chris Hülsbecks Soundmonitor (1986) zeigt den Ansatz eines Programmierers: Musik wird hexadezimal chiffriert und wie Computercode von oben nach unten (statt von links nach rechts) angeordnet. Auf die Frage, ob er sich als Musiker oder als Programmierer verstehe, antwortete Hülsbeck: „Programmierer, ich kann keine Noten lesen“.[4] Als Electronic Arts 1982 Will Harvey’s Music Construction Set und 1986 das Deluxe Music Construction Setveröffentlichte, resümierte die Presse, dies sei „one of the best programs to help serious musicians compose“ und ein „flexible, detailed composition program“[5] – das DMCS fand also seine Marktnische als professionelle Anwendung für Komposition und traditionellen Notensatz. Dagegen richtete sich Instant Music, ebenfalls 1986 von EA publiziert, an den Hobbybereich: „I wanted to build a music programme that would let people provide the creativity but make the computer do most of the work“, erklärte der Entwickler Robert C. Campbell in der Dokumentation. Die Fachpresse beschrieb Instant Music als ein „intelligent electronic instrument“ und „the triumph of technology over talent“, „turning the complete idiot into a composer“. Es stehe gegen die Vorstellung „that only music scholars should be allowed the joy of musical performance“ und erlaube seinen Nutzer:innen „to expand [their] horizons, and that […] is what computers are all about“.[6] Dem entsprechend präsentiert sich das Programm mit einer intuitiv zugänglichen grafischen Notation, die an Lochkartensysteme oder Klavierrollen erinnert. Schließlich brachte die Komponistin Laurie Spiegel ebenfalls 1986 das musiktheoretisch anspruchsvolle Improvisationstool Music Mouse heraus, das sie in einem Artikel im Computer Music Journalals Beispiel eines „intelligent instruments“ nannte.[7] In pentatonischen, diatonischen, oktatonischen und anderen Tonsystemen angeordnete Klänge werden auf einer aus Klaviaturen definierten Matrix visualisiert.

 

Technologien standen hier jeweils in Wechselwirkung mit der musikalischen Kultur, die sie umgab. Der Computer wird zum Musikinstrument: „Computer spielen“ ist nichts fundamental anderes als „Klavier spielen“. Musik erscheint dabei ebenso als Prozess und kulturelle Praxis wie als Produkt, wobei die Notations- und Visualisierungsmodi diverse Zugänge reflektieren: Die unterschiedlichen Interfaces verschleiern, mit Friedrich Kittler gesprochen,[8] die eigentliche Funktionsweise des Geräts.

 

Dieser Ansatz einer Ermächtigung zur Kreativität wurde zum Marketinginstrument: Commodore engagierte für die Präsentation des Amiga den Künstler Andy Warhol und die Sängerin Debbie Harry, Apple ließ den Macintosh zu den Klängen von Vangelis’ Chariots of Fire Gemälde, Typografie und Architektur anzeigen. Der „Personal Computer“, so die Verheißung, entfessele die persönliche Kreativität: Visionen von Joseph Beuys, Leslie Fiedler und Andy Warhol, nach denen jeder Mensch als Künstler zumindest kurzzeitig ins Rampenlicht treten und vermeintliche Gräben einer stratifizierten Kultur überwinden könne, wurden in der neuen, gelegentlich seltsam unkritischen technologischen Euphorie als greifbar dargestellt.

Das Projekt soll eine erste Schneise durch diese weithin unerforschten Terrains bahnen. Dabei werden auch Transferprozesse zwischen Ost und West und der Austausch mit der japanischen Computer(musik)kultur grundlegend untersucht. Hierfür gehen in den Arbeitsbereichen der drei Mitarbeiter:innen eine musikgeschichtliche Perspektive, eine die Kulturwissenschaft und Informatik überblendende Methodik und eigene kompositorische Experimente Hand in Hand. Regelmäßige Podcasts werden über den Fortschritt des Projekts informieren.

 

[1] Steven Levy, Hackers. Heroes of the Computer Revolution, Cambridge u. a. 2010, S. 205f.

[2] Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Wien 9/2019.

[3] Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt am Main 5/2019, S. 81.

[4] Andrew Draheim, „Von der Spielidee ins Regal“, in: 64’er Nr. 2, 1988, S. 20.

[5] Rezensionen in Ahoy! Nr. 5, 1984, S. 49/52, und Info Nr. 1, 1987, S. 56–58.

[6] Rezensionen in Byte: The Small Systems Journal 11/13, 1986, S. 308/310, in AmigaWorld 2/6, 1986, S. 74f., und in Compute! Nr. 4, 1987, S. 67f.

[7] Laurie Spiegel, „Regarding the Historical Public Availability of Intelligent Instruments“, in: Computer Music Journal 11/3, 1987, S. 7–9.

[8] Friedrich Kittler, „Es gibt keine Software“, in: ders., Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993, S. 233; vgl. Frieder Nake, „Surface, Interface, Subface: Three Cases of Interaction and One Concept“, in: Paradoxes of Interactivity, hrsg. von Uwe Seifert u. a., Bielefeld 2008, S. 92–109.

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