Seit den 1970-er Jahren gibt es zahlreiche pädagogische Konzepte und Materialien für das kreative Gestalten, das Erfinden von Musik in der Schule. Angefangen von einfachen Erfindungsaufgaben in Einzel- oder Kleingruppenarbeit hat sich das Spektrum bis auf umfangreiche Kompositionsprojekte in Zusammenarbeit von Schule und Sinfonieorchester erweitert. Das Potenziel, das in dieser Umgangsform mit Musik besteht, ist umfangreich und unumstritten und stößt bei Schüler/innen meist auf großes Interesse, da sie hier ihre eigenen Ideen, Wünsche, Expertisen sehr gut einbringen können. Trotzdem werden Kompositionsaufgaben im Musikunterricht selten gestellt. Meist begegnet man - wenn überhaupt musiziert wird - einem reproduktiven Umgang mit Musik. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie werden oft in mangelhafter Ausstattung mit geeigneten Instrumenten, fehlenden Räumen für Kleingruppenarbeit und knapper Unterrichtszeit gesucht. Ein wesentlicher Verhinderungsgrund liegt aber in der Unsicherheit, der mangelnden fachlichen Kompetenz seitens der Unterrichtenden. Viele Lehrkräfte trauen es sich nicht zu, kreative Gruppenarbeiten präzise zu erstellen und kompetent zu betreuen, Lernenden ein qualifiziertes Feedback zu deren kompositorischen Entwürfen oder Improvisationsideen zu geben und letztlich die Ergbenisse fachgerecht zu beurteilen.
Um das Feld kompositorischen Arbeitens im Musikunterricht methodisch-didaktisch zu beleuchten, wurden im Rahmen des Festivals für Gegenwartsmusik Vorträge und ein Workshop organisiert. Eingeladen waren Referenten/innen mit langjähriger Erfahrung auf diesem Gebiet.
Eröffnet wurde die Vortragsreihe am 21.6.19 von Steffen Reinhold. Reinhold ist Dozent für Musikpädagogik an der HMT, Komponist und Betreuer nationaler und internationaler Schüler-Kompositionsprojekte in Zusammenarbeit mit dem Mendelssohn Kammerorchester Leipzig. Er stellte eine mögliche Systematik zur kompositionspädagogischen Arbeit an den Anfang, auf die sich die Gäste in ihren Referaten bezogen.
Anschließend an diese Einleitung erhielt Susanne Zeh-Voß das Wort. Sie ist Co-Leiterin der Komponistenklasse Halle und führt Schulprojekte zum Thema „Musik erfinden" durch. Das Thema ihres Vortages lautete: „KOMPÄD – Theorie und Praxis eines Förderprojektes zur pädagogischen Weiterbildung von Komponisten*innen“. Die Referentin stellte fest: "Für Komponistinnen und Komponisten eröffnet sich in der kompositorischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein Berufsfeld, auf das sie in ihrem Studium nicht vorbereitet werden, da pädagogische Inhalte nicht Teil ihrer Ausbildung sind." Im Folgenden berichtete sie von KOMPÄD, einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Weiterbildung, die genau diese Lücke schließen wollte. Komponistinnen und Komponisten konnten sich hier mit verschiedenen pädagogischen Ansätzen theoretisch und vor allem praktisch beschäftigen und dabei konkretes Handwerkszeug für die kompositionspädagogische Arbeit mit Gruppen von Kindern und Jugendlichen erlangen. Susanne Zeh-Voß resümierte, dass ihr diese Fortbildung wesentliche Impulse für die eigene Arbeit gegeben habe und bedauerte, dass das Programm nicht weitergeführt wird.
Im zweiten Vortrag berichtete Anja-Christin Winkler, Musiktheaterregisseurin und Lehrberauftragte der HMT, vom Schüler-Kompositionsprojekt „geo-sounds“ (2012-14). Dieses außergewöhnliche länderübergreifende Projekt vereinte fünfzig Schülerinnen und Schüler aus fünf deutschen und polnischen Städten aus tagebaugeprägten Gegenden, die für das Mendelssohn Kammerorchester Leipzig komponierten und mit den Profimusikern auch gemeinsam musizierten. "geo-sounds" begann mit einer Reise in die Urzeit und endete mit dem Blick in die Zukunft. Die Teilnehmenden "übersetzten" einerseits die geologische Entwicklung der heimatlichen Landschaft vom Eozän, dem Beginn der Braunkohleentwicklung, bis heute in Klänge und musikalische Strukturen. Andererseits beschäftigten sie sich mit wichtigen ökologischen Fragen der Gegenwart und Zukunft und verklanglichten ihre Erkenntnisse und Zukunftsvision. In Konzerten in Leipzig, Görlitz, Dresden und Krakau wurden die Ergebnisse zusammen mit dem Orchester präsentiert. Das Highlight dieses Projektes bildete eine einjährige Onlinekomposition, an der sich weltweit alle Internetnutzer beteiligen konnten. Anja-Christin Winkler verdeutlichte, welche Bildungschancen in in einem solchen Projekt stecken.
Den dritten Vortag hielt Hans Schneider zum Thema: „Künstlerische Interventionen als Impulse für ästhetische Grenzüberschreitungen im Kontext experimentellen Gruppen-Komponierens". Hans Schneider, Prof. für Musikpädagogig aus Wien, wirkte in zahlreichen deutschen und österreichischen Kompositionsprojekten mit und veröffentlichete wichtige Beiträge zu dieser Thematik. Der Referent stellte fest, dass bei den derzeit zahlreichen kompositionspädagogischen Aktivitäten meist der Frage nachgegangen werde, wie denn die Teilnehmenden solcher Kompositionsprozesse das ihnen zur Verfügung gestellte Material bearbeitet haben und wie sie mit den vereinbarten kompositorischen Regeln umgegangen sind. Selten bis nie aber stehe die Frage im Zentrum, ob und welche Art von künstlerisch-ästhetischer Erfahrung sie gemacht haben, eine Erfahrung, die über den Erwerb von Wissen oder sozialem und individuellem Erleben hinausgeht. In seinem Referat ging Schneider der Frage nach, ob und welche „künstlerischeren Interventionen“ in solchen Projekten günstig seien, vielleicht sogar notwendig seien, damit die Teilnehmenden eine gemeinsame und persönliche ästhetische Grenze überschreiten könnten.
An die Vorträge schloss sich eine Gesprächsrunde an, moderiert von Steffen Reinhold. Hier wurden noch einmal verschiedene Aspekte aus den Vorträgen vertieft , auch das Publikum beteiligte sich rege und brachte weitere Impulse in die Thematik ein.
Was an diesem Nachmittag auch deutlich wurde: Was die Gesellschaft braucht, ist, dass wir Grenzen überschreiten. Es ist nicht hilfreich, das Gewohnte zu zementieren. “Fridays for Future” zeigt momentan ganz deutlich, dass sich gerade die junge Genration auf den Weg macht und Veränderung als Chance und nicht als Verunsicherung oder Bedrohung begreift. Kompositionspädagogische Arbeit kann dabei einen Beitrag leisten, weil sie den Jugendlichen ein wichtiges Medium zur Artikulation ihrer Visionen erschließen hilft: die Musik.
An die Wortbeiträge schloss sich noch ein Praxisworkshop an, angeleitet durch Hans Schneider, an dem zahlreiche Schulmusikstudierenden teilnahmen.
Eine erfreuliche "Zugabe" stellte ein Radiobeitrag auf MDR-Kultur dar, in dem wesentliche Momente dieses Nachmittags vorgestellt wurden und der mehrere Kurz-Interviews enthielt.
(Steffen Reinhold)
Workshop mit Hans Schneider
Andächtig genießend ziehen die TeilnehmerInnen des Workshops singend durch die Eingangshalle der Hochschule. Es klingt ein mehrstimmig gesungener französischer Kanon, der wie der Regen, von dem das Lied handelt, von den Wänden plätschert.
Die kleine Chorperformance stellte den Abschluss der Tagung am 21.6.2019 im Rahmen des diesjährigen ZFGM-Festivals dar. Nach Vorträgen zu Kompositionsprojekten mit anschließender Diskussionsrunde folgte ein Workshop von Hans Schneider zum Thema „Kompositionspädagogik“. Die Teilnehmenden kamen in den Genuss einiger seiner Improvisationsübungen aus dem Buch „Musizieraktionen – frei streng lose: Anregungen zur V/Ermittlung experimenteller Musizier- und Komponierweisen“, welches 2017 erschienen ist.
(Edda Krause-Wichmann)