
Dramaturgie
Im Mai 2025
ERINNERUNGEN AN CARL HEGEMANN
Anfang
Es war 2006 eine Dramaturgie-Professur neu zu besetzen an unserer Hochschule. Wir wollten das theaterpraktische Profil des Studienganges Dramaturgie schärfen und suchten deshalb nach einem Dramaturgen oder einer Dramaturgin, der oder die für ein Theater arbeitete, das uns gefiel, und dessen oder deren Rolle im Theater der Gegenwart unbezweifelbar war. Wir, das waren damals Barbara Büscher und ich. Carl Hegemann hatte sich an der Volksbühne einen Namen gemacht, er war gerade von ihr weggegangen und er war frei genug, wir auch, der Coup gelang und Carl Hegemann kam nach Leipzig.
Selbstverwaltung, Alltag und Ausnahme
Er blieb 8 Jahre, bis zu seiner Pensionierung. Langweilig waren diese Jahre nie, nur selten waren sie alltäglich und manchmal war es kaum zum Aushalten. Carl zu dem zu bewegen, was im Hochschulalltag Selbstverwaltung hieß, war so gut wie unmöglich. Einmal gelang es doch. Wir saßen und brüteten über der Struktur des neu einzurichtenden Masterstudienganges Dramaturgie. Als wir fast fertig waren mit der komplexen Konstruktion, da kam Carl die Idee, dass es möglich sein müsse, dass die Studierenden für ihren Abschluss wählen können - zwischen einer wissenschaftlichen Masterarbeit und einem künstlerischen Projekt. Carl vertrat das, wie alles, was er vertrat, mit Vehemenz und wir haben unsere ordentliche Konstruktion wieder zerlegt und haben von vorn angefangen, Carl musste da dann schon zum Zug. Das künstlerische Masterprojekt gibt es bis heute.
Unterwegs und dabei
In dieser Zeit teilte Carl auch bald seine Stelle (mit Sandra Umathum, zum Schluss mit Hans-Thies Lehmann) und war nur noch zur Hälfte in Leipzig, denn er wollte gleichzeitig mit Christoph Schlingensief weiterarbeiten und später auch als Dramaturg in Hamburg. Das wollten wir eigentlich auch, wir wollten ja einen, der im gegenwärtigen Theater arbeitet. Er war dann eben ab und zu nicht dabei, wenns um die alltäglichen Hochschuldinge ging.
Die Verführbarkeit des Philosophen
In einigen Semestern habe ich (P.S.) mit Carl gemeinsam das Seminar Aufführungs- und Inszenierungsanalyse gemacht, stets zum Vergnügen der Studierenden, nehme ich an. Im schnell hitzigen Disput mit ihm sind selbst mir da Dinge über die Lippen gekommen. Carl konnte in schwindelerregender Geschwindigkeit das eine Ding mit dem nächsten verknüpfen, eins wurde im Handumdrehen zum anderen, am Ende war alles eins und ich kam mit meinen Differenzen nicht hinterher. Aus den großen Fenstern unseres Seminarraums schauten wir direkt auf das Gebäude des Leipziger Schauspiels gegenüber, zehn Meter Luftlinie von hier nach dort. Sophie Rois spielte dort gerade Medea. Ich hatte die halbe Theatergeschichte und vor allem Brecht aufgefahren, um deutlich zu machen, dass eine Schauspielerin eine Schauspielerin und eben nicht Medea i s t. Ich sehe heute noch seinen leicht gesenkten Kopf am Schluss, sein Blick leicht von unten, seine sich bewegenden Lippen. Im Seminar eine Woche später saß Sophie Rois, Carl hatte sie herübergeholt. Und Sophie Rois w a r Medea.
Carls Kontakte, Verbindungen und Offerten an die Studierenden
Carl kannte alle und viele davon konnten wir zu Lehraufträgen nach Leipzig holen: Für stage design Anna Viebrock, Bert Neumann, Katrin Brack, fürs Schreiben Robin Detje, für Kulturmanagement Kerstin Hehmeyer, es gab Vorträge von Katharina Wagner, u.a., erzählt hat er auch von seinen Gesprächen mit Boris Groys, Navid Kermani, Christoph Menke…
Diese Verbindungen waren auch Angebote, zusammenzudenken, was sich in ihnen zeigte; Dramaturgie nicht zu eng allein ans Theater zu binden, sondern die Fragen (an die Gesellschaft, an die Geschichte, an die Welt) groß zu stellen. Gelegentlich hatte die Größe etwas Schwindelerregendes, aber auf jeden Fall hat er den Studierenden verlockende, interessante und vielfältige Perspektiven eröffnende Denkangebote gemacht.
Dramaturgie ist Vieles, aber kein engstirniges Kleben am Theater. So erschien uns Carl in der HMT-Zeit.
Und weiter
Dass wir ihn vergessen, kommt nicht in Frage. Und vielleicht geht es ja den ein oder der anderen Studierenden, die von ihm lernen konnten, genauso.
Wir würden uns sehr freuen und möchten Euch bitten, diese Zeilen zu ergänzen und fortzuschreiben, an das Büro der Dramaturgie (dramaturgie@hmt-leipzig.de) zu schicken. Die Erinnerungen werden dann laufend ergänzt werden, versprochen.
Petra Stuber & Barbara Büscher