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Lied-Konzepte um 1800

II. Studientag des Instituts für Musikwissenschaft, 2013

Als am 16. Juni 2012 der erste Studientag des Instituts für Musikwissenschaft der Hochschule für Musik und Theater Leipzig stattfand, galt er der Geschichte des Melodrams – einem Genre, das in Forschung und Praxis bekanntermaßen als Desiderat gilt. Fast genau ein Jahr später widmete sich der zweite Studientag am 21. Juni 2013 unter der Überschrift Lied-Konzepte um 1800 einem scheinbar vertrauteren Gegenstand. Doch stellte sich heraus, dass der »Schein des Bekannten« trog und dass auch zu Kompositionsweise, Ästhetik und Soziologie dieser Art von musikalischer Lyrik durchaus Neues zu sagen ist.

 

Die sechs Referent_innen verfolgten vielfältige methodische Ansätze. Musikalische Analyse und Kompositionsgeschichte standen neben Ausführungen zur Ästhetik, mediengeschichtliche und soziologische Ansätze neben rezeptionsgeschichtlichen und Ausblicken auf Arbeitsfelder in den Schnittmengen zum Musiktheater und zur Literatur. Noch 1995 hatte Lawrence Kramer in seinem Buch Classical Music and Postmodern Knowledge den »Verlust an Genauigkeit im Verständnis des Liedes« auf den Verlust des Wissens um seine gesellschaftliche Funktion zurückgeführt, indem »sein Ursprung als populäre Form der Mittelklasse durch seinen späteren Status als Kunstmusik verdunkelt worden« sei. Stattdessen verstand Kramer das Genre als »ein Mittel, um auf gesellige Weise die Hörer als Subjekte in bestimmten sozialen Ordnungen, in bestimmten symbolischen Gefügen zu verorten«. Die Tagung zeigte, auf welch diverse Arten solche Anregungen fruchtbar werden können.

 

Martin Krumbiegel machte den Anfang mit seinem Vortrag »Meine Ruh' ist hin«… – aber wie!? Ein Vergleich von Parallelvertonungen vor dem Hintergrund der sich ändernden »Lied-Ästhetik« um 1800. Zunächst stellte er einen Überblick über Konzepte der Liedästhetik des ausgehenden 18. Jahrhunderts vor und zeichnete deren zum Teil überaus langes Nachwirken im Gattungsdiskurs der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach. Die Untersuchung von sechs Vertonungen (Louis Spohr 1809, Carl Friedrich Zelter 1810, Franz Schubert 1814, Carl Loewe 1822, Richard Wagner 1832, Carl Friedrich Curschmann 1836) des Goethe-Textes »Meine Ruh’ ist hin« aus Faust I erhellte dann, wie sich Komponisten innerhalb dreier Jahrzehnte in diesem Raster positionierten. Anika Paulick und Paul Heller sorgten für die musikalische Illustration des Vortrags.

 

Auf Johann Wolfgang von Goethe folgte Friedrich Schiller: Wolfgang Gersthofer sprach über Schiller-Vertonungen von Johann Rudolf Zumsteeg. Er untersuchte Zumsteegs Satz von Die Erwartung (»Hör ich das Pförtchen nicht gehen«, 1799 komponiert), wobei er auf die Wiederkehr einer charakteristischen Wendung vom übermäßigen Quintsext- zum Dominantquartsextakkord sowie die auffällige harmonische Struktur mit den im Laufe des Stückes chromatisch absteigenden tonalen Zentren fokussierte. Der Referent wies auf Zumsteegs Einfluss auf Franz Schuberts Vertonung des gleichen Textes (D 159, 1815) hin, bevor er zuletzt den Bogen zu Zumsteegs solistisch und chorisch gestalteter Auseinandersetzung mit der Ode an die Freude (»Freude, schöner Götterfunken«, 1795 komponiert) schlug. Martin Krumbiegel und Paul Heller trugen die Kompositionen vor.

 

Christoph Hust blickte auf Die Musenalmanache der 1770er Jahre als Quelle einer Liedersammlung: Johann Friedrich Reichardts »Oden und Lieder, Zweyter Theil« (1780). Reichardts Textwahl war maßgeblich aus den Hamburger und Göttinger Almanachen gespeist, wobei sich die kompositorische Gestaltung je nach medialem und sozialem Zusammenhang änderte. Hannah Berensen und Chris Berensen stellten die Hörbeispiele vor.

 

Nach der Pause beschäftigte sich Kateryna Schöning mit einem Thema, das vom deutschsprachigen Raum ins italienisch beeinflusste Russland und vom Lied zur Oper führte: Das russische Lied in der italienischen Oper am russischen Hof um 1800. Auf der Grundlage einer reichen Repertoirekenntnis wies sie eine dichte Tradition von Zitaten aus Romanzen-Melodien nach, die in Instrumental- und Ensemblestücke von Opern am russischen Hof einmontiert wurden. Dies war bei Giuseppe Sartis Начальное управление Олега (Načal’noe upravlenie Olega, mit Carlo Conobbio und Vasilij Alekseevič Paškevič 1790 auf ein Libretto von Katharina der Großen komponiert) mit Experimenten zur Wiederbelebung der »wahren« antiken Modi verbunden. Die Referentin zeigte Folgen dieser musiktheatralen Lied-Tradition bis ins ausgehende 19. Jahrhundert, u. a. bei Modest Musorgskij und Nikolaj Rimskij-Korsakov. Die Hörbeispiele spielte sie selbst am Klavier.

 

Barbara Wiermann sprach über Das Lied-Repertoire in den Beständen des Greifswalder Musikalien-Sammlers Johann Heinrich Grave und thematisierte die rezeptionsgeschichtliche Sicht auf den Gegenstand der Tagung. Dabei ging sie vom Quellenfundus in der Staatsbibliothek zu Berlin aus, in der sie die heute über den ganzen Bestand verstreute Sammlung des Juristen, Musikliebhabers und Korrespondenzpartners von Carl Philipp Emanuel Bach rekonstruiert hatte. Vor allem die handschriftlichen Abschriften erwiesen sich als sehr reiche Fundgrube für eine rezeptionsgeschichtliche Kontextualisierung des Liedes. Graves Sammlung umfasste Repertoire aus sechs Jahrzehnten und deckte ein breites Spektrum musikalischer Anspruchsebenen ab, das von Kopien der Liedbeilagen aus der Zeitung für die elegante Welt bis zum Clavierkonzert Carl Philipp Emanuel Bachs mit dessen Kadenzen reichte.

 

Elisabeth Sasso-Fruth beschloss die Reihe der Vorträge mit einem Ausblick, der kulturell nach Frankreich, historisch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts führte. Literarische Aspekte in und um « romance » und « mélodie » stellte sie anfangs im Spiegel einer Passage aus Gustave Flauberts Roman Madame Bovary (1857) vor, aus der sie vier Themenstränge isolierte und diese dann systematisch untersuchte. Die Referentin wies besonders auf die Kategorie des Einfachen und die gezielte Ansprache des Emotionalen in Text und Musik der romance sowie Differenzen zur französischen Rezeption des deutschen Liedes und zur mélodie hin. Ariane Liebau und Akiko Sakai illustrierten die Ausführungen mit À mon ange gardien (1825), der von Flaubert ironisch zitierten romance von Pauline Duchambge nach einem Text von heute ungeklärter Provenienz.

 

Im Abschlusskonzert, organisiert von Clarissa Thiem, wurden geistliche und weltliche Lieder von Johann Friedrich Doles, Johann Ernst Bach und Johann Friedrich Reichardt vorgetragen, gesungen von Hannah Berensen, Clarissa Thiem und Thomas Seidel, am Nachbau eines Silbermann-Hammerflügels begleitet von Chris Berensen und David Erzberger.

 

Die Ergebnisse des Studientages werden in den Schriften online der HMT publiziert.

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